Und wieder bin ich in dieses Land gekommen, in mein Marokko.
Mit leuchtenden Augen, so sagte man mir, hätte ich diesen Boden betreten, als ob dies meine Heimat wäre.
Marrakesch, die geheimnisvoll lächelnde, wie ein Wunder erscheinende Stadt die in der Nachmittagshitze zu dösen scheint, während man in die dunkle Kühle eines alten Hauses tritt, die ausgetretenen Steinstufen hinaufgeht auf das Dach, von wo man eine Ebene von flachen Dächern sehen kann und man meint, man könne über die ganze Stadt spazieren. Nur da und dort erheben sich die schlanken weissen Minarette wie Zeigefinger die zum Gebet mahnen.
Weit in der Ferne glänzen die schneebedeckten Bergspitzen des Atlasgebirges und man könnte meinen es wären die Alpen.
Jemaa el-Fna, der wunderbare Platz, das Zentrum von Marrakesch, der Nabel von ganz Marokko – so sagt man. Schon im Mittelalter war der Platz Umschlagplatz von Informationen und Waren, ein Platz des Vergnügens – der Geschäftigkeit des Handelns und das ist er bis heute geblieben. Während der Abenddämmerung zeigt er sich von der betriebsamsten Seite. Der Platz ist in Rauchschwaden gehüllt, in Gewürzdüfte der vielen kleinen Garküchen und in Musik, die dort gespielt wird. Es wird getrommelt, getanzt, geheilt, gefeilscht und Tee getrunken.
Frauen bieten ihre selbstgemachten Brote an und junge Männer ihren frisch gepressten Orangensaft.
Wahrsagerinnen lesen aus der Hand. Moderne und Orient treffen sich auf diesem Platz.
Die Kapuzen der Djellabas (Kapuzenmantel) sieht man in dunkle Gänge verschwinden, Blicke treffen sich, Frauen in Kaftan und Schleier und junge Studentinnen in Jeans und nabelfreien T-Shirts.
Ein Stück von meinem Marokko finde ich in der Medina – der Altstadt, mit ihren engen Gassen, da und dort kleine Gruppen von ehrwürdigen alten Männern in ihren Djellabas und Babusches (Pantoffel) die im Schatten kauern, ihren Minzetee schlürfen und ihre Gebetsperlen durch die Finger gleiten lassen.
Dieses Stück von Marokko findet sich auch in den Farben und Gewürzdüften des Souks.Eintauchen in diese Sinnlichkeit von glänzenden Stoffen, Räucherwaren und Gewürzen, handgearbeiteten Silberschmuck, das Feilschen um den Preis eines Teppichs bei einem Glas Pfefferminztee.
Noch einmal stehe ich auf der Dachterrasse und blicke auf DIE STADT aus 1001 Nacht.
In der Ferne, der hohe Atlas in gleissendem Licht, wo ich morgen schon sein werde! INSHALLA !
Affra – ein abgelegenes Berberdorf in der rauen Gegend im hohen Atlas.
Graue Steinhäuser an die Berghänge gebaut, wie verwachsen scheinen sie, sodass man sich von der Ferne kaum ausmachen kann. Verwachsen ist auch die Bevölkerung mit diesem kargen Gebirgsland, geprägt von seiner Landschaft, dem Ort, wo es keinen Strom, keine Autostrasse, keinen Tourismus gibt. In der Früh, wenn die Sonne aufgeht, kommen die Berberfrauen in ihren bunten Kleidern und Kopftüchern, mit Plastikkanistern auf dem Rücken vom Wasserholen im Tal. Sie sind nicht verschleiert, sie begrüssen einander und plaudern. Zeit spielt hier und überhaupt in Afrika eine andere Rolle als in Europa, für uns schwer nachvollziehbar. Es gibt eine Kultur der Langsamkeit, des Lebens im Jetzt, der Gelassenheit.
Lahcen, ein wunderbarer Begleiter im Gebirge sagt – mache deinen Kopf frei und öffne weit dein Herz –
Aufnehmen in mein Herz –
Will ich die Menschen, die Natur in ihrer atemberaubenden Schönheit, ihrer Kargheit, in ihrer Fülle von Farben und Strukturen. Auf den schmalen Pfaden begegnet man hin und wieder einem Muli, schwerbeladen mit Waren aus dem weitentfernten Markt. Frauen auf dem Weg nach Hause, tiefgebückt unter der Last des Brennmaterials das sie den ganzen Tag über gesammelt haben.Wir haben keine gemeinsame Sprache in der wir uns verständlich machen können, es ist das Zusammengehörigkeitsgefühl das uns Frauen zusammen führt. Das sich Berühren, Umarmen, das Lachen, die Gesten. Wir sitzen in der dunklen, von Rauch geschwängerten Küche, erhellt nur vom Feuer in der Mitte, auf dem Essen gegart wird – Couscous. Gedünstete Hirse mit Hühner- oder Hammelfleisch, Gemüse und Kartoffeln. Später, auf bunten Teppichen am Boden sitzend, ich habe Schwierigkeiten damit, wird gemeinsam aus der grossen Schüssel gegessen und immer und überall der süsse Minzetee. Draussen der sternenübersäte Himmel, da und dort bellt noch ein Hund, es ist kühl geworden und ich verkrieche mich in meinen warmen Schlafsack.
Dem Weg meiner Sehnsucht folgend, verlasse ich dieses einsame Dorf mit seinen gastfreundlichen Menschen, bewege mich dem fruchtbaren Tal zu. Überall Dattelpalmen deren Früchte gerade geerntet werden, köstlich und süss, Oliven – Orangen – Granatapfelbäume – Wasser – welch ein Reichtum.
Ganz allmählich verändert sich die Landschaft, es wird karg, Steine und Sand, einzeln und verstreut Akazienbäume die ein wenig Schatten spenden zum Ausruhen, es ist heiss, die Luft flimmert. Dann weiter dem Süden zu, vorbei an zum Teil halbverfallenen Lehmburgen des Kasbah’s, vergleichbar mit den Burgen des europäischen Mittelalters. Bauen mit Lehm hatte in Marokko eine Jahrhunderte alte Tradition, und nach Jahren „modernen Bauens“ mit Beton Stahl und Glas, lebt die alte Tradition wieder auf. Es ist fast unerträglich heiss, blendend gleissendes Licht, am Horizont sind Schatten auszumachen, ist es eine Luftspiegelung oder nähern wir uns M’hamid „unserem Dorf“, das südlichst gelegene von Marokko, mit seinen warmherzigen und sorgenden Frauen, in deren Mitte ich schon einmal sein durfte.
Majoub und Mouloud erkennen es, ihr Dorf ist in Sicht. Nach tagelanger Abwesenheit ist ihre Freude gross wieder heimzukommen, sie singen und klatschen, ihre Augen leuchten. In der wunderbaren Kühle des Lehmhauses werden wir von den Frauen willkommen geheissen, der Tee ist heiss und süss. Wir umarmen uns, lachen, freuen uns einander wiederzusehen. Die Gastfreundschaft ist umso grösser, je ärmer die Region ist, und je härter ums Überleben gekämpft wird. Ich liebe diese Menschen in ihrer Herzlichkeit, Feinfühligkeit und Gelassenheit. Nachbarn, Verwandte und Kinder kommen. Fatima, die Mutter, sie ist seit Jahren an den Rollstuhl gefesselt, strahlt, sie hat gerne Besuch, viele Menschen um sich. Es ist ein buntes Gemisch von Farben und Stoffen, die sich die Frauen in meterlangen Bahnen um den Körper und Kopf drapieren. Und immer die Musik, das Trommeln und Singen und Klatschen nach dem Rhythmus sich bewegen, das liegt diesen Menschen im Blut.
Draussen, nicht weit von hier, wartet die Wüste.
Eine Erregung macht sich in mir bemerkbar, wie ist diese Liebe zu erklären, zu dieser ausgedörrten Landschaft, aus Sand und Steinen. Die Wüste ist für mich aussergewöhnlich schön, erschütternd und bezaubernd zugleich. Jedesmal wenn ich ihr begegne, führt sie mich auf die erregende Reise in mein eigenes Ich, in dem sich Erinnerungen, Befürchtungen, Ängste und Hoffnungen begegnen. Die Wüste ist es, die mich das Zwiegespräch mit der geheimnisvollen Unendlichkeit lehrt. Die Wüste mit all ihren Geheimnissen.
Es ist der Wind, der die Dünen vor sich hertreibt und ihnen die seltsamsten Formen verleiht mit Mustern, die wie abstrakte Gemälde scheinen.
Es ist die Akazie, die verloren inmitten der grenzenlosen Sandfläche steht, als etwas das aus einer anderen zeit vergessen wurde.
Es ist das Geheimnis des Wüstensperlings der bei seinem herumtrippeln im Sand seine winzigen Spuren hinterlasst.
Es ist auch das Rätsel dieser aus dem Nichts auftauchenden Regenfälle nach Jahren der Trockenheit, die wie Sturzbäche durch die Wadis rauschen, alles mit sich reissend.
Es gibt nichts Bewegenderes als ein um das Feuer sitzen am Abend, die Kamele nach einem ermüdenden Marsch nicht weit entfernt lagern,
Die Dünen und der Himmel von der untergehenden Sonne in Glut getaucht werden und ihre Farben verschmelzen.
Einzuschlafen unter einem Himmel der von unzählbaren Sternen übersät ist, die Stille, unterbrochen von immer leiser werdenden Trommelklängen, das Verstummen der Flöte und der Gesänge.
Die Wüste, eine tiefe Leidenschaft, Bilder in mir, die niemals vergehen werden.
Geschenke an die Menschen, die sich ihr verbunden fühlen, immer ein Heimweh nach diesem Land, ob leise oder brennend.
Eva Tilzer