Die Götter müssen verrückt sein.

Hannas Bericht über einen Besuch bei den letzten Buschmännern Tansanias

(mit einheimischer Begleitung, Reiseorganisation Inge Sohm)

 

Um sechs Uhr früh holt uns unser Guide und Fahrer Hamisi von unserem Guesthouse in Karatu ab. Er meint, wir müssen früh losfahren, damit wir die Buschleute noch erwischen, bevor sie auf Jagd gehen. Das Dorf schläft noch, es ist dunkel und fast ungewohnt ruhig. Nach ca. zwei Stunden auf staubigen Rumpelpisten erreichen wir ein kleines Dorf. Wie im wilden Westen mit Holzbarracken und grauer, staubiger Erde sieht es dort aus, doch anscheinend wachsen hier die besten Zwiebeln des Landes, die sogar bis nach Arusha geliefert werden. Dass LKWs diese von hier aus wegtransportieren können und nicht in den Schlaglöchern der roten Staubstraßen stecken bleiben, können wir fast nicht glauben.

Wir treffen einen Guide des Cultural Tourism Programs. Er kauft Tabak als Gastgeschenk. Vom Dorf aus fahren wir noch mal ca. 20min in den dichten Busch. Der Guide weiß, wo sich die Hadzabe ungefähr aufhalten. Ohne ihn würden wir die Buschleute niemals finden in dieser Landschaft – auch, weil die Hadzabe wegrennen, wenn sie unbekannte Personen in der Ferne wahrnehmen, meint der Guide. Vom Hadzabe-Stamm gibt es in Tanzania noch ungefähr 600 Personen. Einige davon haben sich dem Tourismus geöffnet und heißen BesucherInnen willkommen, andere nicht. Das Geld, das wir TouristInnen zahlen, kommt direkt der Dorfgemeinschaft zugute und wird für Lebensmittel, neue Kleidung oder Messer und Tabak verwendet.

Ob wir uns an den Film „Die Götter müssen verrückt sein“ aus den 1980ern erinnern, fragt uns unser Guide. So ähnlich könnten wir uns die Hadzabe nämlich vorstellen. Wir sind gespannt und voller Vorfreude.

Wir verlassen das Auto. Die Landschaft ist karg und trocken – jetzt ist Trockenzeit – und trotzdem wunderschön. Es scheint uns allerdings unglaublich, dass Menschen hier überleben können. Ein Fluss, den wir passieren, ist ausgetrocknet, die meisten der Bäume und Sträucher tragen keine Blätter. Die Erde ist durch die Hitze und Trockenheit aufgerissen und überzieht die Oberfläche mit eindrucksvollen Mustern.

Plötzlich – hinter einem Busch – treffen wir auf die Hadzabe-Bushmen. Zurückhaltend, aber freundlich werden wir begrüßt. Im ersten Moment wissen wir nicht recht, wie wir uns verhalten sollen. Wir sehen uns um. Wir befinden uns auf einer kleinen Lichtung, ein großer Baum, der Schatten spendet. An einem Strauch hängen Felle und Geweihe von Tieren. Trophäen der Jagd, wie man uns erklärt. Frauen und Männer sitzen ca. 15m voneinander entfernt. Der Guide beginnt den Tabak zu verteilen. Zuerst gibt er den ca. sechs Frauen je eine Handvoll in den Schoß, ganz gierig sind sie danach. Den Rest überreicht er einem der Männer, dem Stammesoberhaupt, wie er uns mitteilt. Häuser oder Hütten gibt es keine. Die Menschen schlafen tatsächlich im Busch bzw. unter Büschen. Auch sonst besitzen sie wenig: Die Kleidung, die sie am Körper tragen, Pfeil und Bogen, Messer für die Jagd, einen Topf zum Kochen. Und Tabak sowie Marihuana. Das Rauchen ist hier Tradition, schon Kleinkinder kiffen, dass es uns die Sprache verschlägt.

Die Männer – ca. 20 – sitzen beisammen und unterhalten sich, einige schnitzen an Pfeilen. Zwei von ihnen beginnen, ein Feuer zu machen. Ein kleines Holzstücken wird auf ein Messer gelegt, mit einem Ast wird so schnell gedreht bis sich in einer kleinen Mulde ein Funke bildet, der dann als Anzünder verwendet wird. Zündhölzer werden nicht gebraucht. Wir dürfen auch probieren und fühlen uns gleich als unbeholfene Städter. Sympathisches Kichern.

Wir werden gefragt, ob wir mit auf Jagd gehen wollen. Natürlich! Die Männer sind bei den Hadzabe für das Jagen zuständig. Tiere, wie Ziegen oder Rinder, werden nicht gehalten. Die Frauen sind für das Sammeln von Wurzeln und Früchten verantwortlich, was besonders in der Trockenzeit ein schwieriges Unterfangen ist.

Mit sechs Kindern und Jugendlichen machen wir uns auf den Weg. Die afrikanische Sonne beginnt langsam die Gegend aufzuheizen. Wir laufen durchs Dickicht – das Ducken vor zurückschnellenden Ästen ist für sie kein Problem. Mit einer Leichtigkeit bewegen sie sich zwischen Büschen und Gräsern hindurch, dass unser Gehen fast beschwerlich wirkt. Wir müssen schmunzeln.

Plötzlich hält einige Meter weiter der Erste von ihnen ein erlegtes Tier in die Höhe, um es uns zu zeigen. Ein kleiner Vogel, einer Amsel gleich. In den Ästen gehört oder gesehen haben wir den Vogel mit unseren ungeübten Augen nicht. Der Vogel wird unter den Gürtel geklemmt und weiter geht die Jagd. Vorbei an riesengroßen Baobabs – die wie es scheint schon seit Jahrhunderten hier stehen – erreichen wir ein kleines, rundes Gebüsch-Wirrwarr, in dem sich anscheinend ein Eichhörnchen versteckt hat. Leise setzen wir uns hin und beobachten die Vorgänge voller Staunen. Die Gruppe stellt sich im Kreis auf und wirft mittelgroße Äste ins Gebüsch, um das Tier aufzuscheuchen und in die Enge zu treiben. Mit für uns undefinierbaren Lauten („Klick-Klack“-Sprache) werden das Eichhörnchen verängstigt und gleichzeitig die mitgenommenen Hunde angewiesen. Auch sie sind geübte (Hilfs-)Jäger und wissen anscheinend jederzeit was zu tun ist. Doch leider verfehlen die Pfeile das Tier und nach einer halben Stunde wird aufgegeben. Man ist eben nicht immer erfolgreich. Wir gehen weiter. Plötzlich die nächste Trophäe: einer der Jüngsten hat eine Art Rebhuhn erlegt, ein anderer einen weiteren Vogel. Die Wahrnehmung der Tiere auch in weiter Ferne und die Präzision, mit welcher sie über einige Meter hinweg einen kleinen Vogel mit Pfeil und Bogen erlegen können, sind unfassbar.

Nun ist es Zeit fürs Essen. Kleintiere werden von den Jägern noch im Busch verspeist, nur größere Tiere wie Antilopen oder Büffel müssen mit der ganzen Dorfgemeinschaft geteilt werden. Aus diesem Grund leiden die Frauen besonders in der Trockenzeit, wenn wenig Früchte zu finden sind, an Hunger, weil sie warten müssen, bis einer der Männer ein größeres Tier erlegt. Eine doch irgendwie schockierende Nachricht.

Mit getrocknetem Tiermist und kleinen Ästen wird ein Feuer gemacht und die gerupften Vögel direkt hinein gelegt. Nach kurzer Grillzeit machen sich alle mit Freude über das Fleisch her – teilweise ist es noch blutig. Von einem durchgebratenen Bruststück wird uns ein kleines Stück angeboten. Zögernd probieren wir, es schmeckt wie Hühnerfleisch. Nach dem Essen wird geraucht, einerseits von uns mitgebrachte Zigaretten, andererseits Joints. Auch die 7-8jährigen Kinder kiffen, das ist nichts Besonderes. Unser Guide fragt uns, ob wir Interesse haben, eine Kette oder einen Pfeil zu kaufen, was wir gerne tun. Die zwei Jüngsten machen diesmal ein Geschäft – wir erstehen eine Kette aus den Stacheln des Stachelschweins und einen Pfeil, mit dem ein Vogel erlegt wurde.

Danach machen wir uns wieder auf zu unserem Ausgangspunkt. Nach einem letzten Schluck aus unserer mitgebrachten Wasserflasche schenken wir den restlichen Liter her, ganz gierig stürzen sich die Jungs drauf. Das einzige Wasser, das hier in der Nähe zu bekommen ist, wird aus einigen Metern Tiefe heraufgeholt und schmeckt sehr erdig. „Reines“ Wasser aus der Flasche ist eine mehr als willkommene Seltenheit.

Zurück bei der Lichtung sehen wir uns ein letztes Mal um und verabschieden uns dann. Viele Eindrücke schwirren im Kopf herum, die auch viele Tage später immer wieder aufblitzen und uns interessante Gespräche bringen über Menschen, die fernab jeglicher Zivilisation im Einklang mit der Natur leben. So verrückt sind die Götter wohl doch nicht. Es war ein wunderschöner Tag!