Mulitrekking im Atlasgebirge, Susanne

Wer weiß schon das heutige Datum, wer kennt den Namen des heutigen Rastplatzes? Meine Bänderzerrung am linken Knöchel (voll Freude „stürzte“ ich mich im wahrsten Sinne des Wortes auf einen völlig unerwarteten Wasserfall - ich hatte mir die Gegend trocken und öde vorgestellt - ein völliger Irrtum!) hat uns allen einen „Urlaubstag“ beschert. Oder vielleicht hat das auch noch andere Gründe. Zum Beispiel, dass Inge, unsere Reiseführerin, mehr auf die angeblich sprichwörtliche arabische Langsamkeit zählt als unser einheimischer Guide Lahcon. Oder dass unser gestriger vielstündiger Marsch durchs Atlasgebirge einfach für zwei Tage reicht.

 

Wir LAGERN. Den Ausdruck kenne ich nur von Märchen und aus Abenteuerromanen. Ich habe jedenfalls in meinem Leben noch nie „gelagert“. Idyllisch hingestreckt - so wie ich mir das immer bei arabischen Märchenprinzessinnen vorgestellt habe - liegen wir acht Frauen auf den Decken, die unserer Guides für uns im Schatten ausgebreitet haben, an einem Flussufer. Der Fluss ist nicht etwa ausgetrocknet, er führt wohltemperiertes, fließendes Wasser. „Fließendes Wasser“ - zwei Begriffe, die bei einigen von uns bestimmt sehnsüchtige Seufzer auslösen. Hartnäckig halte ich am Traumbild von den lagernden Prinzessinnen fest, denn immerhin wurden wir gerade mit Nüssen, Feigen und Datteln, mit Trinkwasser und dem (unvermeidlichen) Tee versorgt. Unser Eselsführer Omar glaubt unseren Beteuerungen, dass wir den Tee ungezuckert wollen, nicht. Da wir erst am Beginn der Reise sind, haben wir noch Zeit für den etwas mühsamen Umerziehungsprozess (Wer da wohl wen schlussendlich umerzogen hat???).

 

Margit bemerkt voller Freude einen Einheimischen, der Wäsche im Fluss wäscht. Einen Mann - wohlbemerkt! Ob sie ihm wohl ihre Hose bringen könnte? Wir alle hätten nichts dagegen, denke ich, wenn der rotbraune Sand und die zahlreichen Essensspuren von unseren Hosen verschwunden wären. Prinzessinnen müssen ja nicht immer in Sand und Seide und Sandelholzduft gekleidet sein.

Anna, mit 14 unsere Jüngste, zieht es vor, sich die Zeit lesend auf einen großen Stein im Fluss zu vertreiben. Abgesehen von den ersten Aufregungen um ihren Durchfall, findet sie den Urlaub „voi suppa“. (Prinzessinnen haben keinen Durchfall? Wer sagt das?)

 

„Nicht nur Trekking, sondern sogar Urlaub“, war mein Kommentar, als Inge bei der Mittagspause verkündetet, dass wir heute nicht mehr weitermarschieren würden. Kein Murren, auch nicht von den Wanderwütigen unter uns. Schön, dass alle so flexibel sind! Danke! Wahrscheinlich waren alle von meiner Rettungsaktion beeindruckt: Ich wurde ein gutes Stück auf unseren Lastmulis transportiert. Scheinbar mühelos findet unser Guide eine andere Familie als vorgesehen, bei der wir abends aufgenommen und verköstigt werde. Gerade diese Familie stellt sich als besonders gastfreundlich heraus und wir haben mit den Frauen und den Kindern ein bisschen mehr Kontakt als sonst. Erstaunliche Einsicht: nicht nur wir bestaunen neugierig die ungewohnte Umgebung und die fremden Menschen, sondern wir selbst werden zur Attraktion und werden lachend vom Dach des Hauses aus begutachtet.

Humor - neben der Flexibilität eine Eigenschaft, die wir gut brauchen können bei unserer Wanderung. Wie sollten wir sonst mit unseren zahlreichen Eigenheiten zurechtkommen? Mit Gabrielas lautstarker Schwärmerei für Wienerschnitzel und „Erdapfelsolod“ (heute schon?) oder ihrem Drang nach Eleganz und Gepflegtheit, dem sie in den Gebirgstagen nicht gut nachkommen kann (die Lockenwickler werden von den Mulis brav von Rastplatz zu Rastplatz geschleppt - und dabei bleibt es dann auch - oder hat sie es geschafft, ohne dass ich es bemerkte, sie mal aufzudrehen?). Oder Margits enthusiastischer Liebe zu Pflanzen: Zu meinem ehrlichen Erstaunen schleppt sie schon seit Tagen eine Flasche mit sich, in der sie eine Wasserpflanze hütet, die sie zuhause im Schwimmteich einpflanzen will. (Zusatz: Soweit ich weiß, wurde der Inhalt der Flasche gegen Ende des Urlaubs an der Atlantikküste den Elementen zurückgegeben und hat den vorarlbergerischen Schwimmteich nie erreicht, obwohl seinen Hüterin ziemlich hartnäckig war. Übrigens: den Schwimmteich samt Traumhaus haben wir beim Marokko-Nachtreffen gebührend bewundern können.). Margit ist es auch, die immer wieder freudestrahlend verkündet (wie kann man nur so gut gelaunt sein???), wieviel wir alle von dieser Reise mit heim nehmen werden (damit meint sie eigentlich nicht nur Materielles - doch sie wird Recht behalten), dabei ist sie ganz stolz auf ihren Mini-Rucksack mit Mini-Gepäck - und - dass sie trotzdem alles Wichtige bei sich hat. Und da ist noch Veronika, die sich eigentlich was anderes erhofft hat von der Reise und viel, viel mehr wandern möchte (sie ist schon sehr sportlich)!

 

Was mich völlig fasziniert an dieser Reise, sind die zahlreichen Tipps von Frau zu Frau, die ausgetauscht werden: Tonschrubber sind besser für die Hornhaut als Eisenschrubber. Keine Bodys mit Druckknöpfen beim Reiten. Wie stopfe ich zeitsparend und trotzdem erfolgreich den verdammten Schlafsack in seine Hülle? Ganz wichtig: Was nützt bestimmt bei Durchfall? (Zum Beispiel drei getrocknete Heidelbeeren pro Tag.) Wie erreiche ich einen Zustand wunschlosen Gleichgewichts, damit ich in der Nacht durchschlafe und bestimmt nicht aufs Klo gehen muss? (Denn das ist nur was für Mutige, die sich vom Hundegekläff nicht abschrecken lassen und sich tapfer ihren Weg zu einem ruhigen Plätzchen im Schoße der Natur für ihr Geschäft suchen. Davon hat Inge nichts erwähnt in ihrer Ausschreibung!). Auch vom hemmungslosen Hähnekrähen in den vermeintlich ruhigen, abgeschiedenen Dörfern haben wir nichts geahnt: meine „Geheimwaffe“ - Ohropax! Zahlreiche Döschen mit Bio-Lippencreme, Fußbalsam, Insektenschutz, Blasenpflastern und ähnlichem wandern von Hand zu Hand. Irgendeine hat immer, was du gerade brauchst. Die Stimmung ist trotz einiger Wehwehchen munter und aufgekratzt.

Und falls du bisher wunschlos gleichgewichtig warst, findest du in der Gruppe bestimmt etwas, erstens - was du noch nicht hast, zweitens - von dem du bis jetzt nicht wusstest, dass du es nicht hast, und drittens, das du jetzt zu deinem Glück plötzlich brauchst! Zum Beispiel eine Hose, deren Rohr sich durch Reißverschlüsse in drei (!) Teile teilen lässt, ein sich selbst aufblasendes Sitzmättelei, einen umhängbaren Sunblocker (leicht einsetzbar, verleihbar und gleichzeitig noch attraktiv), einen glasklaren Nylonsack ohne Löcher, mit Wasser befüllbar zum Abschrecken von Fliegen, Probepackungen von Vileda-Fußcreme, Blumendraht zum Winden von Kränzchen aus marokkanischen Pflanzen - eine Zierde für jede Tafel (da fällt mir wieder das inzwischen sehr verblasste Bild von den lagernden Prinzessinnen ein - also einen hübschen Tischschmuck hatten wir jedenfalls!). Wobei ich hier kurz innehalten und mich fragen muss, ob ich neben den nützlichen und den etwas verwegenen Dingen noch eine dritte Liste mit echt unnötigen, unwichtigen und überflüssigen Dingen anlegen soll, die allerdings hohen Unterhaltungswert besitzen.

Als ich dann zuhause die Fotos vom Märchenlager betrachte, muss ich laut lachen: eine zerzauste, etwas erschöpfte Susanne blinzelt mir da entgegen, von Prinzessin keine Spur. Und wieder einmal bewahrheitet es sich: die wahren Abenteuer sind im Kopf!

 

Jetzt im Nachhinein kann ich sagen, der Urlaub hat mir viel innere Ruhe und Gelassenheit beschert, ich hatte genau den Freiraum und gleichzeitig das Gruppengefühl, das für mich gut war, in meinem Herzen sind wünderschöne Naturbilder gespeichert und die Erinnerung an einen bunten Haufen unterschiedlichster Frauen.

Susanne (Tirol)